
Zum dritten Mal veröffentlichen wir anlässlich des Atheist Day eine Liste der Säkularen Gefangenen. Damit wollen wir die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass weltweit immer noch viele Menschen für ein Bekenntnis zum Atheismus, die Kritik von Göttern und Heiligkeiten oder die Forderung nach einer säkularen Gesellschaftsordnung mit Gefängnis bedroht werden oder in Haft sitzen.
Mit Blick auf die Fälle, die wir in den vergangenen Jahren vorgestellt haben, gibt es eine sehr gute Nachricht: Am 19. August 2024 wurde Mubarak Bala, Präsident der Humanist Association of Nigeria, nach über vier Jahren aus der Haft entlassen. Seitdem lebt er an einem sicheren Ort. Auch Lina Lutfiawati ist im November 2024 nach Verbüßung von zwei Dritteln ihrer zweijährigen Haftstrafe freigekommen.
Shakila Monfared befindet sich dagegen noch in Haft und hat noch über zehn Jahre Gefängnis vor sich. HRANA, die Human Rights Activists News Agency, listet sie in der anlässlich des Weltfrauentags veröffentlichten Comprehensive List of Female Political Prisoners in Iran auf. Auch Eduard Sharlot wird noch längere Zeit inhaftiert sein. Zunächst meldete Radio Free Europe im Juli 2024, er sei auf eine Liste der Terroristen und Extremisten gesetzt worden. Im Dezember war dann zu lesen, Sharlot sei wegen „Rehabilitierung des Nazismus“ zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden, die er in einem Straflager verbringen müsse. Dass sich Sharlot in einem Brief und vor Gericht bei Patriarch Kyrill für sein Handeln entschuldigt hat, legt nahe, dass er extremem Druck ausgesetzt ist.
Der Fall der Filmschaffenden Tan Meng Kheng & Khairi Anwar Jailani ist dagegen noch in der Schwebe. Anfang März hat es der Oberste Gerichtshof von Malaysia abgelehnt, das Verfahren einzustellen. Dabei bestätigte das Gericht die Rechtmäßigkeit von Abschnitt 298 des malaischen Strafgesetzbuches, der die Verletzung der religiösen Gefühle anderer verfolgt. Als Hoffnungsschimmer kann gewertet werden, dass das Gericht zugleich betonte, es sei nun Sache der Staatsanwaltschaft, zweifelsfrei zu beweisen, dass Khairi und Tan absichtlich die religiösen Gefühle anderer verletzt hätten.
Allen, die uns auch dieses Jahr wieder mit Hinweisen geholfen haben, danken wir an dieser Stelle. An English version can be downloaded here.
Ratu Thalisa (Ratu Entok), Indonesien
Haftstrafe für Witz auf TikTok
Aus Indonesien ist erneut ein Fall zu vermelden, dass ein harmloser Witz zu einer mehrjährigen Haftstrafe führen kann, wenn damit ein religiöser Inhalt auch nur gestreift wird. Ratu Thalisa, auf TikTok unter dem Namen Ratu Entok unterwegs, hat als Influencerin eine Fangemeinde von über 440.000 Followern.
Anfang Oktober 2024 reagierte die muslimische Trans-Frau spontan auf einen gehässigen Kommentar während eines Livestreams. Ein Nutzer hatte sie aufgefordert, sich die Haare zu schneiden, um „männlicher“ auszusehen. Daraufhin holte sich Ratu Thalisa ein kitschiges Jesus-Bildchen auf ihr Handy und sprach „Jesus“ an: „Du solltest nicht wie eine Frau aussehen. Du solltest dir die Haare schneiden, damit du wie sein Vater [also der Vater des Kommentarschreibers] aussiehst.“
In der Folge erstatteten mehrere christliche Gruppen Anzeige wegen „Blasphemie“. Anfang März kam es zum Prozess, der zur Verurteilung von Ratu Thalisa führte. Weil ihre schlagfertige Bemerkung in den Augen des Bezirksgerichts von Medan die „religiöse Harmonie“ und die „öffentliche Ordnung“ gestört haben, muss die Influencerin für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis. Außerdem wurde ihr eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 5600 Euro auferlegt (sofern sie diese nicht zahlen kann, verlängert sich ihre Haft um sechs Monate). Damit blieb das Gericht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die auf vier Jahre und sechs Monate plädiert hatte. Grundlage der Verurteilung war wie im Fall von Lina Lutfiawati [2024] das Electronic Information and Transaction Law (diesmal Artikel 45A).
Shahriar Bayat, Iran
Todesstrafe für „Beleidigung des Propheten“
Der 64-jährige Shahriar Bayat sitzt im Evin-Gefängnis in der Todeszelle. Der pensionierte Angestellte wurde im September 2022 während der Frau, Leben, Freiheit-Proteste verhaftet und zunächst vom Revolutionsgericht in Schahriyar wegen mehrerer Vergehen zu zehn Jahren Haft verurteilt (u.a. wegen Gründung einer virtuellen Vereinigung mit dem Ziel, die nationale Sicherheit zu stören). An diese Social Media-Aktivitäten knüpfte ein zweites Verfahren an, in dem Bayat vorgeworfen wurde, bestimmte Bilder gepostet zu haben, die als Beleidigung des Propheten und Entweihung islamischer Heiligtümer gewertet wurden. Im Februar 2024 wurde Bayat von der Abteilung 13 des Teheraner Strafgerichtshofs zum Tode verurteilt. Dagegen hat sein Anwalt Rechtsmittel eingelegt, der Fall liegt nun (seit über einem Jahr) beim Obersten Gerichtshof.
Bayats Tochter hatte bereits früh darauf hingewiesen, dass die Geständnisse ihrem Vater mit Schlägen abgepresst worden seien. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes war Bayat vor dem Todesurteil zweimal zur medizinischen Behandlung vorübergehend freigelassen worden. Ende Januar berichtete HRANA, dass sich sein Gesundheitszustand aufgrund mangelnder medinizischer Versorgung weiter verschlechtert habe.
Junaid Hafeez, Pakistan
Seit zwölf Jahren wegen Blasphemievorwürfen in Haft
Am 13. März 2013 wurde gegen den Universitätsdozenten Junaid Hafeez Anklage wegen Blasphemie erhoben. Seit diesem Tag sitzt er hinter Gittern, über zehn Jahre davon in Einzelhaft. Das Verfahren wurde 2014 eröffnet. Nach wenigen Wochen wurde Hafeez’ Anwalt, ein Vertreter der Human Rights Commission of Pakistan, erschossen. Der Prozess zog sich hin, auch weil es sich schwierig gestaltete, Richter zu finden, die bereit waren, den Fall zu verhandeln. Erst im Dezember 2019 erging das Urteil: Hafeez wurde in allen Anklagepunkten für schuldig befunden: Für die „vorsätzliche und böswillige“ Verletzung religiöser Gefühle (Artikel 295A) wurde der Angeklagte zu zehn Jahren Haft verurteilt, für die Schändung des Korans (Artikel 295B) zu lebenslanger Haft und für abfällige Bemerkungen über den Propheten (Artikel 295C) wurde die Todesstrafe ausgesprochen. Zusätzlich wurde eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 2000 Euro verhängt. Die Zeit, die Hafeez bereits im Gefängnis verbracht hatte, wurde nicht auf die Haftstrafe angerechnet, da das Gericht im Fall von Gotteslästerung keinen Grund sah, Nachsicht zu zeigen.
Hintergrund des Verfahrens ist einem Bericht der Online-Zeitung The Friday Times zufolge eine gezielte Kampagne. Studentische Anhänger von Jamaat-e-Islaami, einer Organisation der islamischen Rechten, die sich gegen Pakistan als säkularen Staat wendet, sollen dahinter stecken. Aufgrund seiner Kritik an konservativen gesellschaftliche Normen sei Hafeez als „liberal“ identifiziert worden. Um seine dauerhafte Anstellung an der Bahaduddin Zakariya University zu verhindern, sei eine Hass-Kampagne gegen ihn losgetreten worden. In diesem Zuge wurde unter anderem behauptet, Hafeez habe blasphemische Flugblätter an einem Schwarzen Brett in der Universität ausgehängt und sich in einem Seminar blasphemisch geäußert. Zudem sei er für zwei Facebook-Gruppen verantwortlich, in denen blasphemische Inhalte gepostet worden sein sollen. Hafeez bestreitet sämtliche Vorwürfe.
Am 19. März 2025 sollte der Oberste Gerichtshof von Lahore über die Berufung gegen das Todesurteil entscheiden. Kurz vor dem Termin wurde Hafeez’ Anwalt jedoch mitgeteilt, dass der Fall an diesem Tag nicht verhandelt werden wird. Eine Begründung wurde offenbar nicht angegeben, ein Ersatztermin wurde gleichfalls nicht genannt. Pakistanische Beobachter bewerten den Vorgang als „äußerst besorgniserregend“.
Yahaya Aminu Sharif, Nigeria
Todesurteil für Liedtext
Yahaya Aminu Sharif ist Sänger und gehört dem Tijaniyya-Sufi-Orden an, der von der islamischen Orthodoxie als häretisch angesehen wird. Im Februar 2020 teilte der damals 22-Jährige ein Lied auf WhatsApp, in dem er seine Bewunderung für einen religiösen Sufi-Führer ausdrückte. Da dies von der islamischen Rechten als Herabsetzung des Propheten Mohammed wahrgenommen wurde, kam es zu Demonstrationen gegen Aminu Sharif, in deren Folge sein Haus niedergebrannt wurde. Im März wurde er verhaftet und im August von einem islamischen Gericht im Bundesstaat Kano zum Tod durch Erhängen verurteilt. Im Januar 2021 hob das Berufungsgericht des Bundesstaates Kano das Todesurteil auf und ordnete ein Wiederaufnahmeverfahren an, weil der Angeklagte sich im Prozess nicht angemessen habe verteidigen können. Seitdem liegt der Fall beim Obersten Gerichtshof Nigerias, und der Beklagte sitzt weiter in Haft.
Im Mai 2024 hatten unabhängige Experten der Vereinten Nationen gefordert, Yahaya Sharif-Aminu unverzüglich und bedingungslos freizulassen. Im Februar 2025 hatte sich auch das Europaparlament in einer Entschließung für den Sänger eingesetzt. An die nigerianischen Behörden erging die Forderung, „Yahaya Aminu Sharif sofort und bedingungslos freizulassen, alle Anklagepunkte gegen ihn fallen zu lassen, seine Sicherheit und sein Recht auf ein faires Verfahren zu garantieren“.