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Liste der säkularen Gefangenen 2025

Zum dritten Mal veröffentlichen wir anlässlich des Atheist Day eine  Liste der Säkularen Gefangenen. Damit wollen wir die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass weltweit immer noch viele Menschen für ein Bekenntnis zum Atheismus, die Kritik von Göttern und Heiligkeiten oder die Forderung nach einer säkularen Gesellschaftsordnung mit Gefängnis bedroht werden oder in Haft sitzen.
Mit Blick auf die Fälle, die wir in den vergangenen Jahren vorgestellt haben, gibt es eine sehr gute Nachricht: Am 19. August 2024 wurde Mubarak Bala, Präsident der Humanist Association of Nigeria, nach über vier Jahren aus der Haft entlassen. Seitdem lebt er an einem sicheren Ort. Auch Lina Lutfiawati ist im November 2024 nach Verbüßung von zwei Dritteln ihrer zweijährigen Haftstrafe freigekommen.
Shakila Monfared befindet sich dagegen noch in Haft und hat noch über zehn Jahre Gefängnis vor sich. HRANA, die Human Rights Activists News Agency, listet sie in der anlässlich des Weltfrauentags veröffentlichten Comprehensive List of Female Political Prisoners in Iran auf. Auch Eduard Sharlot wird noch längere Zeit inhaftiert sein. Zunächst meldete Radio Free Europe im Juli 2024, er sei auf eine Liste der Terroristen und Extremisten gesetzt worden. Im Dezember war dann zu lesen, Sharlot sei wegen „Rehabilitierung des Nazismus“ zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden, die er in einem Straflager verbringen müsse. Dass sich Sharlot in einem Brief und vor Gericht bei Patriarch Kyrill für sein Handeln entschuldigt hat, legt nahe, dass er extremem Druck ausgesetzt ist.
Der Fall der Filmschaffenden Tan Meng Kheng & Khairi Anwar Jailani ist dagegen noch in der Schwebe. Anfang März hat es der Oberste Gerichtshof von Malaysia abgelehnt, das Verfahren einzustellen. Dabei bestätigte das Gericht die Rechtmäßigkeit von Abschnitt 298 des malaischen Strafgesetzbuches, der die Verletzung der religiösen Gefühle anderer verfolgt. Als Hoffnungsschimmer kann gewertet werden, dass das Gericht zugleich betonte, es sei nun Sache der Staatsanwaltschaft, zweifelsfrei zu beweisen, dass Khairi und Tan absichtlich die religiösen Gefühle anderer verletzt hätten.
Allen, die uns auch dieses Jahr wieder mit Hinweisen geholfen haben, danken wir an dieser Stelle. An English version can be downloaded here.


Ratu Thalisa (Ratu Entok), Indonesien
Haftstrafe für Witz auf TikTok
Aus Indonesien ist erneut ein Fall zu vermelden, dass ein harmloser Witz zu einer mehrjährigen Haftstrafe führen kann, wenn damit ein religiöser Inhalt auch nur gestreift wird. Ratu Thalisa, auf TikTok unter dem Namen Ratu Entok unterwegs, hat als Influencerin eine Fangemeinde von über 440.000 Followern.
Anfang Oktober 2024 reagierte die muslimische Trans-Frau spontan auf einen gehässigen Kommentar während eines Livestreams. Ein Nutzer hatte sie aufgefordert, sich die Haare zu schneiden, um „männlicher“ auszusehen. Daraufhin holte sich Ratu Thalisa ein kitschiges Jesus-Bildchen auf ihr Handy und sprach „Jesus“ an: „Du solltest nicht wie eine Frau aussehen. Du solltest dir die Haare schneiden, damit du wie sein Vater [also der Vater des Kommentarschreibers] aussiehst.“
In der Folge erstatteten mehrere christliche Gruppen Anzeige wegen „Blasphemie“. Anfang März kam es zum Prozess, der zur Verurteilung von Ratu Thalisa führte. Weil ihre schlagfertige Bemerkung in den Augen des Bezirksgerichts von Medan die „religiöse Harmonie“ und die „öffentliche Ordnung“ gestört haben, muss die Influencerin für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis. Außerdem wurde ihr eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 5600 Euro auferlegt (sofern sie diese nicht zahlen kann, verlängert sich ihre Haft um sechs Monate). Damit blieb das Gericht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft, die auf vier Jahre und sechs Monate plädiert hatte. Grundlage der Verurteilung war wie im Fall von Lina Lutfiawati [2024] das Electronic Information and Transaction Law (diesmal Artikel 45A).

Shahriar Bayat, Iran
Todesstrafe für „Beleidigung des Propheten“
Der 64-jährige Shahriar Bayat sitzt im Evin-Gefängnis in der Todeszelle. Der pensionierte Angestellte wurde im September 2022 während der Frau, Leben, Freiheit-Proteste verhaftet und zunächst vom Revolutionsgericht in Schahriyar wegen mehrerer Vergehen zu zehn Jahren Haft verurteilt (u.a. wegen Gründung einer virtuellen Vereinigung mit dem Ziel, die nationale Sicherheit zu stören). An diese Social Media-Aktivitäten knüpfte ein zweites Verfahren an, in dem Bayat vorgeworfen wurde, bestimmte Bilder gepostet zu haben, die als Beleidigung des Propheten und Entweihung islamischer Heiligtümer gewertet wurden. Im Februar 2024 wurde Bayat von der Abteilung 13 des Teheraner Strafgerichtshofs zum Tode verurteilt. Dagegen hat sein Anwalt Rechtsmittel eingelegt, der Fall liegt nun (seit über einem Jahr) beim Obersten Gerichtshof.
Bayats Tochter hatte bereits früh darauf hingewiesen, dass die Geständnisse ihrem Vater mit Schlägen abgepresst worden seien. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes war Bayat vor dem Todesurteil zweimal zur medizinischen Behandlung vorübergehend freigelassen worden. Ende Januar berichtete HRANA, dass sich sein Gesundheitszustand aufgrund mangelnder medinizischer Versorgung weiter verschlechtert habe.

Junaid Hafeez, Pakistan
Seit zwölf Jahren wegen Blasphemievorwürfen in Haft
Am 13. März 2013 wurde gegen den Universitätsdozenten Junaid Hafeez Anklage wegen Blasphemie erhoben. Seit diesem Tag sitzt er hinter Gittern, über zehn Jahre davon in Einzelhaft. Das Verfahren wurde 2014 eröffnet. Nach wenigen Wochen wurde Hafeez’ Anwalt, ein Vertreter der Human Rights Commission of Pakistan, erschossen. Der Prozess zog sich hin, auch weil es sich schwierig gestaltete, Richter zu finden, die bereit waren, den Fall zu verhandeln. Erst im Dezember 2019 erging das Urteil: Hafeez wurde in allen Anklagepunkten für schuldig befunden: Für die „vorsätzliche und böswillige“  Verletzung religiöser Gefühle (Artikel 295A) wurde der Angeklagte zu zehn Jahren Haft verurteilt, für die Schändung des Korans (Artikel 295B) zu lebenslanger Haft und für abfällige Bemerkungen über den Propheten (Artikel 295C) wurde die Todesstrafe ausgesprochen. Zusätzlich wurde eine Geldstrafe von umgerechnet etwa 2000 Euro verhängt. Die Zeit, die Hafeez bereits im Gefängnis verbracht hatte, wurde nicht auf die Haftstrafe angerechnet, da das Gericht im Fall von Gotteslästerung keinen Grund sah, Nachsicht zu zeigen.
Hintergrund des Verfahrens ist einem Bericht der Online-Zeitung The Friday Times zufolge eine gezielte Kampagne. Studentische Anhänger von Jamaat-e-Islaami, einer Organisation der islamischen Rechten, die sich gegen Pakistan als säkularen Staat wendet, sollen dahinter stecken. Aufgrund seiner Kritik an konservativen gesellschaftliche Normen sei Hafeez als „liberal“ identifiziert worden. Um seine dauerhafte Anstellung an der Bahaduddin Zakariya University zu verhindern, sei eine Hass-Kampagne gegen ihn losgetreten worden. In diesem Zuge wurde unter anderem behauptet, Hafeez habe blasphemische Flugblätter an einem Schwarzen Brett in der Universität ausgehängt und sich in einem Seminar blasphemisch geäußert. Zudem sei er für zwei Facebook-Gruppen verantwortlich, in denen blasphemische Inhalte gepostet worden sein sollen. Hafeez bestreitet sämtliche Vorwürfe.
Am 19. März 2025 sollte der Oberste Gerichtshof von Lahore über die Berufung gegen das Todesurteil  entscheiden. Kurz vor dem Termin wurde Hafeez’ Anwalt jedoch mitgeteilt, dass der Fall an diesem Tag nicht verhandelt werden wird. Eine Begründung wurde offenbar nicht angegeben, ein Ersatztermin wurde gleichfalls nicht genannt. Pakistanische Beobachter bewerten den Vorgang als „äußerst besorgniserregend“.

Yahaya Aminu Sharif, Nigeria
Todesurteil für Liedtext
Yahaya Aminu Sharif ist Sänger und gehört dem Tijaniyya-Sufi-Orden an, der von der islamischen Orthodoxie als häretisch angesehen wird. Im Februar 2020 teilte der damals 22-Jährige ein Lied auf WhatsApp, in dem er seine Bewunderung für einen religiösen Sufi-Führer ausdrückte. Da dies von der islamischen Rechten als Herabsetzung des Propheten Mohammed wahrgenommen wurde, kam es zu Demonstrationen gegen Aminu Sharif, in deren Folge sein Haus niedergebrannt wurde. Im März wurde er verhaftet und im August von einem islamischen Gericht im Bundesstaat Kano zum Tod durch Erhängen verurteilt. Im Januar 2021 hob das Berufungsgericht des Bundesstaates Kano das Todesurteil auf und ordnete ein Wiederaufnahmeverfahren an, weil der Angeklagte sich im Prozess nicht angemessen habe verteidigen können. Seitdem liegt der Fall beim Obersten Gerichtshof Nigerias, und der Beklagte sitzt weiter in Haft.
Im Mai 2024 hatten unabhängige Experten der Vereinten Nationen gefordert, Yahaya Sharif-Aminu unverzüglich und bedingungslos freizulassen. Im Februar 2025 hatte sich auch das Europaparlament in einer Entschließung für den Sänger eingesetzt. An die nigerianischen Behörden erging die Forderung, „Yahaya Aminu Sharif sofort und bedingungslos freizulassen, alle Anklagepunkte gegen ihn fallen zu lassen, seine Sicherheit und sein Recht auf ein faires Verfahren zu garantieren“.

 

Liste der säkularen Gefangenen 2024

Aus Anlass des Atheist Day veröffentlichen wir dieses Jahr zum zweiten Mal am 23. März eine Liste der Säkularen Gefangenen. Damit wollen wir die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass weltweit immer noch viele Menschen für ein Bekenntnis zum Atheismus, die Kritik von Göttern und Heiligkeiten oder die Forderung nach einer säkularen Gesellschaftsordnung mit Gefängnis bedroht werden oder in Haft sitzen.
Mit Blick auf die vier Fälle, die wir im vergangenen Jahr vorgestellt haben, muss leider vermeldet werden, dass laut dem Freedom of Thought Report 2023 Youssef Mehrad und Saadullah Fazli (Iran) im Mai 2023 hingerichtet worden sind. Für Mubarak Bala (Nigeria) gibt es dagegen möglicherweise einen schmalen Silberstreifen am Horizont: Laut Humanists International ist sein Fall im Februar zur Berufung angenommen worden. Ein Urteil des Berufungsgerichts wird für den 21. Mai erwartet. Rusthum Russo (Malediven) lebt in Freiheit, ist aber untergetaucht, weil ihm gegenüber Drohungen geäußert wurden. Über die Situation von Othman Mohamed Lehbib (Mauretanien) konnte nichts Neues in Erfahrung gebracht werden.
Auch dieses Jahr konzentrieren wir uns auf vier beispielhafte Fälle. Allen, die uns mit Hinweisen geholfen haben, danken wir an dieser Stelle. An English version can be downloaded here.


Tan Meng Kheng & Khairi Anwar Jailani, Malaysia
Filmschaffenden droht Haftstrafe wegen Verletzung religiöser Gefühle

Regisseur und Produzent des Films Mentega Terbang müssen sich wegen des Vorwurfs, bewusst religiöse Gefühle verletzt zu haben, vor Gericht verantworten. Im Fall einer Verurteilung droht den beiden eine Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Gefängnis.
Die Anklage beruft sich auf Abschnitt 298 des Strafgesetzbuches von Malaysia, der die Verletzung religiöser Gefühle behandelt. Der bereits 2021 veröffentlichte Film zeigt die Geschichte einer Teenagerin, die in einer liberal-muslimischen Familie aufwächst und sich angesichts einer schweren Erkrankung ihrer Mutter mit existenziellen Fragen beschäftigt. Dabei werden auch die Konzepte unterschiedlicher Religionen erörtert, etwa die Vorstellung einer Wiedergeburt oder die Frage, wann ein Mensch in den Himmel kommt.
Auf Druck der muslimischen Rechten wurde der Film im September 2023 nach Abschnitt 26 des Filmzensurgesetzes verboten und von den Streaming-Plattformen gelöscht. Die Filmemacher sahen sich zudem zunehmender Bedrohung ausgesetzt.
In einer ersten Anhörung am 17. Januar mussten Kheng und Jailani jeweils eine Kaution hinterlegen, um auf freiem Fuß zu bleiben. Außerdem ordnete das Gericht an, dass sie sich während des Verfahrens nicht öffentlich zur Sache äußern dürfen.

Anfang März 2025 hat es der Oberste Gerichtshof von Malaysia abgelehnt, das Verfahren einzustellen. Wahrscheinlich findet in absehbarer Zeit das reguläre Gerichtsverfahren statt.


Eduard Sharlot, Russland
Untersuchungshaft und Strafverfahren wegen der Verletzung der Gefühle von Gläubigen

Der russische Sänger Eduard Sharlot sitzt seit November in Haft. Einer der Gründe ist der Vorwurf der Verletzung der Gefühle von Gläubigen (Strafgesetzbuch der Russischen Förderation, Artikel 148). Im Juli hatte Sharlot ein elf Sekunden dauerndes Video gepostet, das ihn zeigt, wie er ein Foto des Oberhauptes der Russisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, sowie seinen Militärausweis unter ein Kruzifix nagelt. Bei seiner Rückkehr von einem Aufenthalt in Armenien wurde Sharlot festgenommen; seitdem ist er inhaftiert. Die Untersuchungshaft ist zunächst bis 24. März terminiert.
Die Kunstaktion steht im Zusammenhang von Sharlots Kritik am Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine. Zuvor hatte er bereits seinen russischen Pass verbrannt, was ihm eine weitere Anklage eingebracht hat. Alleine für die Anklage nach Artikel 148 drohen dem Sänger bis zu einem Jahr Haft oder Zwangsarbeit.

Im Dezember 2024 ist Eduard Sharlot wegen „Rehabilitierung des Nazismus“ zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden, die er in einem Straflager verbringen muss. Bei Patriarch Kyrill hat er sich vor Gericht entschuldigt.


Shakila Monfared, Iran
Mehrjährige Haftstrafen für Bürgerrechtsaktivistin

Seit Januar 2021 ist Shakila Monfared inhaftiert, mittlerweile im berüchtigten Evin-Gefängnis. In einem ersten Verfahren vor dem Revolutionsgericht wurde sie zunächst zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt; die Strafe wurde von einem Berufungsgericht dann auf vier Jahre und zwei Monate verkürzt. Vorgeworfen wurde ihr u.a. die Beleidigung der „Heiligtümer“ des Islams (Strafgesetzbuch der Islamischen Republik, Art. 513), die sich in verschiedenen Posts finden, mit denen sie das politische System der Islamischen Republik kritisiert hatte.
Im Februar 2022 kam es zu einer weiteren Verurteilung (zwei Jahre und acht Monate), diesmal wegen der vorgeblichen Mitgliedschaft in einer regierungsfeindlichen Vereinigung und der „Verbreitung von Lügen“. Ende Februar 2024 teilte das Center for Human Rights in Iran auf Instagram mit, dass Monfared eine zusätzliche 15-monatige Haftstrafe auferlegt worden sei, da sie durch ihre Äußerungen aus der Haft heraus die nationale Sicherheit beeinträchtigt habe.
Mit dieser Strategie versucht das iranische Regime, die Bürgerrechtsaktivistin langfristig hinter Gittern zu halten, um sie durch die widrigen und die Gesundheit stark belastenden Haftbedingungen zu zermürben.

Lina Lutfiawati (Lina Mukherjee), Indonesien
Haftstrafe für TikTok-Video

Auf den ersten Blick unpolitisch erscheint der Fall der indonesischen Lifestyle-Influencerin Lina Lutfiawati. Die junge Frau hatte auf TikTok ein Video gepostet, das sie dabei zeigt, wie sie Schweinefleisch verzehrt – während eines Urlaubs in einer mehrheitlich hinduistischen Region Indonesiens und aus „Neugier“, wie die BBC später berichtete. Bevor die bekennende Muslimin in die knusprig gebratene Schweinehaut biss, sprach sie die religiöse Formel „Bismillah“, was etwa „im Namen Gottes“ bedeutet.
Dies rief Proteste der muslimischen Rechten hervor. Im Mai 2023 kam es daraufhin zur Anklage, die zu einer Verurteilung Mitte September führte. Das Strafmaß beläuft sich auf zwei Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von umgerechnet rund 15.000 Euro. Der Vorwurf lautete, Lutfiawati habe durch ihr Handeln zum Hass gegen religiöse Gemeinschaften angestiftet und damit gegen Art. 28 des Electronic Information and Transaction Law verstoßen. Der Indonesia Ulema Council hatte die Tat allerdings als blasphemisch eingestuft.
Hintergrund ist eine Verschärfung der Blasphemiegesetzgebung in Indonesien, die ihre Schatten vorauswirft. Im Dezember 2022 gingen die Gesetzesänderungen durchs Parlament, kurz darauf unterzeichnete der Staatspräsident das neue Strafgesetz. Obwohl es erst 2026 in Kraft treten wird, spiegelt sich in der aktuellen Rechtsprechung bereits jetzt die veränderte gesellschaftliche Stimmungslage, vor deren Hintergrund die Verschärfungen gesehen werden müssen: nämlich der unverhohlene Anspruch, das gesamte öffentliche Leben nach den Vorstellungen eines konservativen Islams zu gestalten. Auch das Electronic Information and Transaction Law ist seit längerem als Instrument der Zensur in der Kritik. Erst im Dezember 2023 hatte die Organisation Article 19 von der indonesischen Regierung eine Reform des Gesetzes gefordert, da einige Artikel dafür genutzt werden könnten, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung zu behindern und Regierungskritik unter dem Vorwand der Verbreitung von Hassreden verstummen zu lassen.

Lina Lutfiawati ist im November 2024 nach Verbüßung von zwei Dritteln ihrer Haftstrafe freigekommen.

Liste der säkularen Gefangenen 2023

Aus Anlass des Atheist Day veröffentlichen wir am 23. März 2023 erstmals eine Liste der Säkularen Gefangenen. Ziel dieser Aktion soll sein, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass weltweit immer noch viele Menschen für ein Bekenntnis zum Atheismus, die Kritik von Göttern und Heiligkeiten oder die Forderung nach einer säkularen Gesellschaftsordnung ins Gefängnis geworfen werden. Dabei ist es nicht so, dass derartige Fälle überhaupt keine Beachtung finden. Aber es gibt bislang, soweit wir sehen, keine Stelle, die versucht, diese Fälle zusammenzutragen und die dahinterstehenden Schicksale zu dokumentieren.
Projekt 48 hat sich nun diese Aufgabe gestellt. Wir beginnen mit vier Fällen aus vier Ländern, die verschiedene Aspekte der Verfolgung säkularer Aktivist:innen zeigen. Natürlich sind das beiweitem nicht alle Menschen, die aufgrund ihrer atheistischen oder säkularen Einstellung inhaftiert sind – allein im Iran gibt es sehr viele Betroffene. Wir haben uns trotzdem entschieden, uns auf relativ wenige Beispiele zu konzentrieren. Zu den dahinterstehenden Überlegungen haben wir auch in einem Interview im Humanistischen Pressedienst Stellung bezogen.
Wir danken allen, die uns bei der Erstellung der Liste unterstützt haben, insbesondere der Säkularen Flüchtlingshilfe und dem Zentralrat der Ex-Muslime Deutschland. An English version can be downloaded here.

Mubarak Bala, Nigeria
24 Jahre Haft für „blasphemische“ Facebook-Einträge
Mubarak Bala ist Präsident der Nigerian Humanist Association. Im April 2020 wurde er aufgrund einer Anzeige wegen Blasphemie verhaftet. Fünf Monate saß er ohne Kontakt zu einer anwaltlichen Vertretung im Gefängnis, erst nach mehr als einem Jahr wurde Anklage erhoben.
Vorgeworfen werden Mubarak Bala Facebook-Posts, in denen er der Propheten Muhammad mit einem nigerianischen Tele-Evangelisten verglichen oder mit Bezug auf die Corona-Pandemie geäußert haben soll: „Allah does not exist, do not pray against Covid-19. Act against the disease“.
Vor Gericht gestellt wurde er schließlich wegen „öffentlicher Unruhestiftung“ (Abschnitte 210 und 114 des Strafgesetzbuches des Bundesstaats Kano). Seine Facebook-Posts sollen eine Störung der öffentlichen Ordnung bewirkt haben. Am 4. April 2022 fand der Prozess statt. Mubarak Bala bekannt sich schuldig und wurde zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt.
Beobachter wie der bekannte nigerianische Humanist Leo Igwe – er leitet die Kampagne #FreeMubarakBala – gehen davon aus, dass Mubarak Bala genötigt wurde, sich schuldig zu bekennen und nach zwei Jahren Haft den Einschüchterungen nichts mehr entgegensetzen konnte.
Die britisch-nigerianische Journalistin Yemisi Adegoke hat einen halbstündigen Film über das Schicksal Mubarak Balas gemacht, der auf YouTube angesehen werden kann.

Mubarak Bala ist im August 2024 freigekommen und lebt derzeit an einem sicheren Ort.

Othman Mohamed Lehbib, Mauretanien
Seit drei Jahren unter dem Vorwurf der „Gotteslästerung“ inhaftiert
Othman Mohamed Lehbib war in der Bewegung Wir wollen ein säkulares Mauretanien aktiv. Aufgrund seiner Aktivitäten und seiner Stellungnahmen in den sozialen Medien, in denen er die religiöse Herrschaft in Mauretanien kritisierte, wurde er verhaftet und befindet sich seit April 2020 in Einzelhaft. Der Vorwurf lautet Gotteslästerung, was nach Artikel 306 des mauretanischen Strafgesetzbuches mit der Todesstrafe geahndet werden kann. Über seinen derzeitigen Zustand gibt es derzeit keine genauen Informationen.

Mohamed Rusthum Mujuthaba (Rusthum Russo), Malediven
Vier Monate Haft für Kritik am Islam
Der maledivische Menschenrechtsaktivist Mohamed Rusthum Mujuthaba setzt sich untrer dem Pseudonym Rusthum Russo setzt sich in sozialen Medien für Religions- und Glaubensfreiheit. Dieses Engagement hat ihn seit Herbst 2019 mehrfach ins Gefängnis gebracht. Zuletzt wurde er am 10. August 2022 wegen „Beleidigung des Islams“ und des Besitzes von „obszönem Material“ (Sektion 617 und 622 des maledivischen Strafgesetzbuches) zu vier Monaten Haft verurteilt. Da er vor der Urteil bereits sechs Monate inhaftiert war, kam er nach dem Prozess frei.
Im November 2022 hatten UN-Vertreter, darunter der Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit, in einem Schreiben an die maledivische Regierung ihre Besorgnis über die gerichtliche Verfolgung von Rusthum Russo ausgedrückt.

Youssef Mehrad & Saadullah Fazli, Iran
Todesstrafe für „Beleidigung des Propheten“
Weil sie auf einem Telegram-Kanal namens Criticism of Superstition and Religion aktiv waren, sind Youssef Mehrad und Saadullah Fazli wegen des Vorwurfs „Sab al-Nabi“ (Beleidigung des Propheten) zum Tode verurteilt worden. Zusammen mit fünf anderen Teilnehmern an besagtem Telegram-Kanal waren sie im Mai 2020 festgenommen worden. Neben zahlreichen weiteren Anklagepunkten (u.a. Bildung einer illegalen Vereinigung) wurde den Männern die Beleidigung der „Heiligtümer“ sowie des Gründers der Islamischen Republik zur Last gelegt. Während fünf der Angeklagten zu mehrjährigen Haft- und Geldstrafen verurteilt wurden, verhängte die erste Kammer des Strafgerichtshofes von Arak gegen Youssef Mehrad und Saadullah Fazli wegen einer vermeintlichen Beleidigung des Propheten im April 2021 die Todesstrafe. Der Oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil im Juli desselben Jahres. Seitdem sitzen die beiden gewissermaßen in der Todeszelle.

Der Freedom of Thought Report 2023 berichtet, dass die beiden im Mai 2023 hingerichtet worden sind.

 

Secular Voices: Yahya Ekhou

Im November 2022 ist im Alibri Verlag die erste Veröffentlichung der Buchreihe Secular Voices erschienen. Es handelt sich dabei um Freie Menschen kann man nicht zähmen von Yahya Ekhou. Der im westafrikanischen Mauretanien geborene Menschenrechtsaktivist beschreibt darin die von einem strengen Stammes- und Klassensystem geprägte mauretanische Gesellschaft und seine Versuche, ein davon abweichendes Leben zu führen. Nachdem er sich öffentlich dazu bekannt hatte, Atheist zu sein, fanden Demonstrationen gegen ihn statt, so dass er nach Deutschland floh. Die Bedrohung endete jedoch auch im Exil nicht; auch in deutschen Flüchtlingsunterkünften gibt es für Dissidenten keine Sicherheit.
Yahya Ekhou beschreibt seinen Bruch mit traditionellen Denkmustern, seinen Status als staatenloser Menschenrechtsaktivist, aber auch seine Hoffnungen auf gesellschaftliche Veränderungen und ein Leben in Freiheit.

 

 

 

 

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